Schaffen mehr Zeiten auch mehr Platz?
Bei der Aseag gilt Maskenpflicht statt Mindestabstand. Linke fordern einen zeitlich versetzten Schulbeginn.
Aachener Nachrichten, 6. November 2020
Aachen Die Kinos sind geschlossen, Theater ebenso. Und beim Lieblingsitaliener kann man die Pizza nur noch abholen, aber nicht mehr dort genießen. Und das alles trotz gut funktionierender Hygienekonzepte. Gleichzeitig erscheinen die Aseag-Busse vor allem im Schulverkehr voll wie eh und je.Von einem Mindestabstand ist hier jedenfalls keine Spur.
Der ist im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) auch gar nicht vorgesehen (> Info I). Daher gelte hier schon seit dem ersten Lockdown im Frühjahr eine Maskenpflicht. „Die ist zentral für den Infektionsschutz in Bussen“, sagt Aseag-Sprecher Paul Heesel dazu. Und offenbar ist sie auch ausreichend, denn die Busse sind laut Heesel „durch Lüftungsanlagen und ständiges Türöffnen gut durchlüftet. Nach bisherigen Erkenntnissen ist die Ansteckungsgefahr in Bussen gering“, sagt der Aseag-Sprecher und verweist auf den Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), der seine rund 600 Mitgliedsunternehmen befragt hat.
„Eine sichere Sache“
Erste Zwischenergebnisse zeigten eindeutig positive Resultate. Es seien demnach so gut wie keine Covid-19-Infektionen bei den Mitarbeitenden festzustellen, teilt der VDV mit, auch nicht bei den Berufsgruppen mit direktem, täglichem Kundenkontakt. „Bus- und Bahnfahren ist auch in Covid-Zeiten eine sichere Sache“, sagt VDV-Präsident Ingo Wortmann. „Die Faktoren Maske, ständige Frischluftzufuhr beziehungsweise rascher Luftaustausch und kurze Reisezeit sprechen für den öffentlichen Nahverkehr.“
Gleichzeitig fordert aber auch der VDV einen gestaffelten Beginn des Schulunterrichts, um Busse und Bahnen in der Pandemie zu entlasten. Ministerien und Behörden müssten sich mehr mit der Beförderung von Schülern auseinandersetzen, forderte VDV-Präsident Wortmann im Gespräch mit der Funke Mediengruppe. Die Planungen endeten dort zu oft am Schultor, scheiterten an verschiedenen Zuständigkeiten und lösten Kapazitätsprobleme nicht, denn die Nachfrage und Auslastung des öffentlichen Nahverkehrs, so Wortmann, sei rund um den Schulbeginn am stärksten.
Eine Tatsache, die man täglich auch an den Aachener Schulen beobachten kann und die deshalb auch die Aachener Linken aufgegriffen haben. In einem Ratsantrag fordern sie am Donnerstag, die Verwaltung möge in Zusammenarbeit mit der Aseag und den Schulen ein Konzept für einen gestaffelten Beginn des Unterrichts zur Entzerrung des morgendlichen Busverkehrs in der Corona-Pandemie erarbeiten und schnellstmöglich umsetzen. In der Begründung heißt es, dass es zwar in den Schulen Hygienekonzepte gebe, aber nicht auf dem Weg dorthin. Die Linien- und Schulbusse seien hingegen teilweise völlig überfüllt, schreiben der Fraktionsvorsitzende der Linken, Leo Deumens, und der schulpolitische Sprecher Matthias Fischer. Fände der Unterrichtsbeginn an den Aachener Schulen zeitversetzt statt, könnte das Verkehrsaufkommen in den Bussen am frühen Morgen gemindert und der Gesundheitsschutz im öffentlichen Nahverkehr verstärkt werden.
Die Aseag sieht das übrigens ähnlich. Sie hätte mehr Anpassungsmöglichkeiten, sagt Sprecher Paul Heesel, „wenn die Schulzeiten stärker gestaffelt wären“. Dabei spricht er aber nicht von fünf bis 15 Minuten – „In dieser Zeit können wir keinen Bus zwei Mal fahren lassen.“ – sondern eher von einer Stunde Unterschied. „Das ist aber für Schulen und Eltern nicht leicht zu organisieren“, räumt er ein.
Die Aseag verfügt über rund 230 Busse und rund 480 Fahrer. Hinzu kommen täglich noch rund 220 Busse mit Fahrern von Auftragsunternehmen. Und die seien derzeit mit dem größtmöglichen Angebot unterwegs, trotz geringerem Fahrgastaufkommen insgesamt. „Die Fahrgastzahlen liegen zurzeit bei rund 70 bis 75 Prozent des Vorjahreswertes“, so Heesel. Der VDV habe ausgerechnet, dass man fünf bis sechs Mal so viele Busse brauchen würde, um einen Mindestabstand von 1,5 Metern gewährleisten zu können. „Das ist aber nicht machbar, weil die benötigten Fahrerinnen und Fahrer und auch die Busse nicht zur Verfügung stehen“, sagt der Aseag-Sprecher.
Auch nicht im Rahmen des sogenannten 1000-Busse-Programms des Landes. Dabei habe es sich nämlich nicht um 1000 Fahrzeuge gehandelt, die nach Bedarf in die einzelnen Städte und Kreise geschickt werden, sondern vielmehr um ein Verrechnungsmodell für zusätzliche Fahrten. „Zuwendungsempfänger können Kreise, kreisfreie oder kreis- angehörige Städte und Gemeinden in ihrer Funktion als Schulträger oder als Aufgabenträger sein“, erklärt Heesel das Prozedere. „Sie vereinbaren dann mit den jeweiligen Verkehrsunternehmen die beabsichtigten Mehrleistungen und refinanzieren sich über das Land.“ Die Busse selbst müssten vor Ort akquiriert werden. Also habe die Aseag seinerzeit bei den Auftragsunternehmen angefragt, ob sie zusätzliche Fahrer und Busse bereitstellen könnten. „Es wurden nur einzelne verfügbare Busse zurückgemeldet. In der Städteregion sind uns nur drei zusätzliche Busse in Monschau und einer in Eschweiler bekannt, die in diesem Rahmen mobilisiert werden konnten“, umreißt Heesel die Größenordnung. Mit einzelnen Bussen aber – gegebenenfalls auch Reisebussen, die nur bedingt für den Linienverkehr geeignet seien,– könnten auf einzelnen Fahrten zu Schulen zusätzliche Busse eingesetzt werden. „Damit werden wir aber nur einigen wenigen gerecht. Wir können so nicht flächendeckend in der Städteregion wesentlich mehr Platz in unseren Bussen bieten.“
Schöne neue Welt
Ein deutlicher Ausbau der Kapazitäten – umweltfreundlich, bedarfsorientiert und komfortabel – lasse sich ohnehin nicht von heute auf morgen umsetzen. „Das bedarf eines langfristigen, gemeinschaftlichen Engagements von Verkehrsunternehmen und Aufgabenträgern.“ Wie das für Aachen und die Städteregion aussehen könnte, habe die Aseag in ihrer „Vision 2027“ skizziert, in der per App autonom fahrende Netliner und Premiumlinienbusse auf eigenen Trassen inklusive Gratis-Kaffee und Umsteigemöglichkeiten an sogenannten Mobilitätshubs gebucht werden können. Eine schöne neue Welt, die von einer Steigerung der Verkehrsleistung der Aseag um etwa 30 Prozent ausgehe, „was zusätzliche jährliche Betriebskosten von rund 30 bis 40 Millionen Euro bedeuten würde“, sagt Paul Heesel. www.aseag.de/die-aseag/vision-2027/