Sind nun auch Aachener Beschlüsse angreifbar?
Stadt sieht neue Mieterschutzverordnung NRW weiter kritisch: Hat nichts mit der Realität auf dem Wohnungsmarkt zu tun.
Aachener Nachrichten, 25.11.2020
Von Gerald Eimer
Aachen Die städtischen Wohnungsexperten hadern weiter mit einem höchst fragwürdigen Gutachten, das der seit Juli geltenden Mieterschutzverordnung des Landes zugrunde liegt. Dieser Untersuchung zufolge habe Aachen gar keinen angespannten Wohnungsmarkt, folglich sei hier auch kein besonderer Mieterschutz erforderlich. Eine Einschätzung, die vor Ort immer noch für Fassungslosigkeit, Empörung und einige offene Fragen sorgt.
Mit der Realität habe das Gutachten des Beratungsinstituts Empirica nichts zu tun, hat die Aachener Fachverwaltung bereits im Sommer – noch vor Inkrafttreten der Verordnung – dargelegt. Umstimmen ließ sich die verantwortliche Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) dennoch nicht. Dabei waren die methodischen Fehler der Gutachter offensichtlich, wie nicht nur die Aachener Verwaltung, sondern auch die kommunalen Spitzenverbände in einer mehrseitigen Stellungnahme darlegten. Denn dem Empirica-Gutachten lagen Daten zu Mietpreisen und Leerständen aus der gesamten Städteregion statt aus der Hochschulstadt Aachen zugrunde.
Statistisch gilt der Aachener Wohnungsmarkt seitdem als entspannt. Aus Landessicht gibt es hier trotz steigender Studenten- und Bevölkerungszahlen und dramatisch steigender Mietpreise keinen Mangel an bezahlbarem Wohnraum, keinen erhöhten Wohnungsbedarf und auch keine weitergehende Schutzbedürftigkeit der Mieter. Von einer fatalen Fehleinschätzung sprachen selbst Scharrenbachs Parteifreunde in Aachen, die vergeblich auf eine Korrektur drängten.
Und die Sorgen gehen weiter, wie nun eine Anfrage der Linken zeigt. Sie wollen wissen, ob die Landesverordnung womöglich auch die städtischen Beschlüsse zum Schutz der Mieter und für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum gefährden. So hat die Stadt nach langem Ringen im vergangenen Jahr auch eine eigene Satzung zum Schutz von Wohnraum beschlossen und einen Quotenbeschluss gefasst, um den Anteil öffentlich geförderter Wohnungen zu steigern. Was, wenn ein Investor dagegen klagt und sich dabei ebenfalls auf das Empirica-Gutachten beruft?
Stadt ist guten Mutes
Noch steht eine schriftliche Antwort aus. Doch Rolf Frankenberger, Leiter des Fachbereichs Wohnen und Soziales, zeigt sich auf Anfrage bereits optimistisch. Seine Fachleute hätten das Empirica-Gutachten mit ihrem Gegengutachten schließlich regelrecht „zerpflückt“. „Eine solche fundierte Stellungnahme hätte auch vor Gericht Bestand“, ist er überzeugt. „Wir würden den Rechtsweg guten Mutes beschreiten.“ Noch allerdings warte man auf die erste Klage gegen die Aachener Beschlüsse.
Der Unmut über die Entscheidung der schwarz-gelben Landesregierung bleibt. Denn der Geltungsbereich für die neue Mieterschutzverordnung sei nicht nach sachlichen Kriterien festgelegt worden. „Das war ein politischer Beschluss“, sagt Frankenberger.
Von den Schutzbestimmungen des Landes sind nun nur noch rund drei Millionen statt zuvor sechs Millionen Einwohner in NRW-Städten erfasst. Dazu zählen vor allem die sogenannten „Schwarmstädte“ Bonn, Köln, Düsseldorf und Münster. Herausgefallen sind neben Aachen unter anderem auch Neuss und Bielefeld.